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Häusersammler #4: Interview mit Johanna Neuenschwander, die zeigt, dass man auch einen Architekten «sammeln» kann

17. August 2022

Es ist die Rede vom Meiringer Architekt Ernst E. Anderegg (1928-2006), der Weiterbildungsjahre beim berühmten amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright in Wisconsin und in Arizona absolvierte. Zurück in seinem Heimatort im Berner Oberland begann Anderegg ab 1958, die Architektursprache, die er bei Wright kennengelernt hatte, in modifizierter Form und auf die Alpen und Voralpen angepasst anzuwenden. Im Rahmen seines grossen, eigenständigen Werks realisierte Anderegg rund 90 Wohn- und Ferienhäuser und zusätzlich viele öffentliche Bauten, insbesondere für den Tourismus. Besondere Umstände und auch Zufälle haben Johanna Neuenschwander und ihren verstorbenen Mann wiederholt in Kontakt mit Ernst E. Anderegg gebracht, darunter mit dessen Erstlingswerk von 1958 in Hasliberg. Nicht einmal fünfzigjährig, wurde dieses Ferienhaus 2006 unter Denkmalschutz gestellt.
Lesen Sie hier das Interview von Benno Schubiger mit Johanna Neuenschwander, das mit einer schönen Anekdote beginnt.

BS: Schildern Sie uns doch bitte den Anfang Ihrer engen Verbindung zu Ernst E. Anderegg.

JN: Als junge Familie in den 60er Jahren wollten wir ein Haus bauen, nicht nur ein «Hüsli» – Architektur war gefragt. Da mein Mann schon in seiner Jugend auf dem Hasliberg heimisch war, führte er seine junge Familie häufig auf den Hasliberg. Dass es dort ein besonderes Haus gäbe – das 1958 erbaute «Haus Alexander» nämlich – das wusste mein Mann. Wir erfragten dessen Architekten und hörten zum ersten Mal den Namen Ernst E. Anderegg.

Wir fuhren nach Meiringen und fragten den jungen Architekten, ob er uns ein Haus bauen würde. Er schmunzelte und meinte: «Es kommt drauf an»! Sein Selbstbewusstsein war perfekt. Er baute uns ein Haus, wo wir noch immer leben. Das ist das erste Haus in der Sammlung.

BS: Doch es sollte nicht bei diesem einen Wohnhaus von Ernst E. Anderegg bleiben. Wie kam das «Brunni» in die Sammlung?

JN: Mein Mann und ich fragten einmal Ernst Anderegg, ob er irgendwo in den Bergen eine Hütte wüsste, wir seien mit den Kindern viel zu Fuss unterwegs. Seine Antwort: «Ich habe an der alten Sustenstrasse ein kleines Haus gebaut – vielleicht ist es zu kaufen!» In der folgenden Woche suchte ich die Hausbesitzerin in der Stadt Bern und fragte sie, ob sie zu verkaufen gedächte. Sie schüttelte den Kopf. Aber bald kam ein Telefon von einem Neffen der Hausbesitzerin. Die Tante sei jetzt im Altersheim; ob wir noch ein Kaufinteresse hätten. Wir besprachen uns mit Ernst, und er meinte: «Inschlagen!» – Wir haben dann dort viele gemütliche Stunden mit Ernst Anderegg verbracht. Er kam immer mit gutem Appetit und war dankbar für ein Glas Wein (oder zwei).

Noch ein paar Details zu diesem Ferienhaus an der alten Sustenstrasse. Anderegg war ja als junger Student einige Jahre in Amerika bei Frank Lloyd Wright gewesen. Als er zurück war und in Meiringen ein Büro eröffnete, war sein Bestreben, das herkömmliche Chalet neu zu gestalten. Dieses Haus an der Sustenstrasse wurde berühmt wegen der eigenwilligen Architektur. Ernst erzählte immer wieder gerne, wie damals die Baukommissionen verständnislos waren. Nur dank eines «modernen» Lehrers in Innertkirchen sei der Bau bewilligt worden. Die Bevölkerung blieb skeptisch. Ein Einheimischer wurde einmal gefragt, wo dieses berühmte Haus stünde, worauf er antwortete: «Ah, Ihr suechet die Zweifäcknervilla» (von Fäcke = Flügel).

BS: Wie kam es dann dazu, dass Sie das besondere «Haus Alexander» im Hasliberg, welches am Anfang ihrer guten Beziehung zum Architekten Anderegg gestanden hatte, auch noch käuflich erwarben?

JN: Dieses «Haus Alexander» wie es heisst, zu besitzen, war nie unser Ziel. Wir sind buchstäblich hineingeschlittert. Die Gemeinde rief zur Versteigerung des Hauses auf, da die Hausbesitzerin zahlungsunfähig war. Ernst Anderegg rief seine ehemaligen Bauherren und Bauherrinnen auf, doch an die Versteigerung zu kommen, denn ihm sei bange, dass das Haus in falsche Hände käme, denn es sei sein Erstlingswerk.

Mein Mann und ich gingen «über die Bücher» und trafen rechtzeitig im Versteigerungslokal in Meiringen ein. Es waren eine Menge «Gwundrige» da, aber keine Bieter. Etwas alleingelassen und ratlos waren wir plötzlich die Besitzer des «Haus Alexander». Wir haben dann unter Grosseinsatz das Haus renoviert, haben vieles blankgeputzt, Bilder gesucht, Stühle gekauft - extra von Cassina nach dem Vorbild von Frank Lloyd Wright gemacht!

BS: Was spricht für die Wohnhäuser von Ernst E. Anderegg?

JN: Alle seine Häuser verbreiteten Harmonie, die man so sonst nicht findet. Hast du einmal deine Seele in diese Häuser gelegt, dann kommst du nicht mehr los.

Es freute uns jeweils, wenn die Begeisterung für Anderegg-Häuser auf andere übergriff. So kamen in den 1980er und 1990er Jahre Freunde von uns auf die Idee, ihre Häuser ebenfalls durch Ernst Anderegg erbauen zu lassen, nachdem sie sich in deren Materialien und Formen verliebt hatten. So kamen ein Einfamilienhaus in Uettligen und ein Doppelwohnhaus in Zollikofen zustande.

BS: Ist es überinterpretiert, wenn ich sage, dass der Architekt Ernst E. Anderegg Ihr Leben und dasjenige Ihres Mannes in mancher Hinsicht mitgeprägt hat?

JN: Es war weniger eine Prägung als ein beglückendes Projekt für uns als Paar. Das Tolle am Ganzen war, dass mein Mann und ich gleichermassen bewegt von dieser Architektur waren. Es war wie ein Geschenk, dass wir beide dies erleben durften.

 

Johanna Neuenschwander war Primarlehrerin mit Leib und Seele. Walter Neuenschwander war Jurist; er hatte eine Notariatspraxis in Wohlen bei Bern und in der Stadt. Zusammen durchwanderten sie die Schweiz, immer auf der Suche nach guter Architektur. Frau Neuenschwander wohnt immer noch in ihrem vor ca. 50 Jahren von Ernst E. Anderegg erbauten Einfamilienhaus über dem Wohlensee. Der dazugehörige Garten wurde in den frühen 1980er Jahren als einer der frühen Naturgärten in der Schweiz durch den Architekten und Umweltgestalter Eduard Neuenschwander (1924-2013) angelegt – einem Mitglied von Domus Antiqua Helvetica übrigens.