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Häusersammler #2: Interview mit Olaf Herrmann und Volker Marterer: Geht Leidenschaft für alte Häuser auch ohne Leiden?

13. Januar 2022

Mitglied von Domus Antiqua Helvetica wird man üblicherweise wenn man ein historisches Wohnhaus geerbt oder gekauft hat. Vereinzelte Vereinsmitglieder entwickeln aber eine so grosse Passion für dieses Thema, dass sie gleich mehrere schützenswerte Häuser erwerben und sich buchstäblich eine Kollektion davon zusammenstellen. Sie dann alle auch zu bewohnen, dass läge rein praktisch gar nicht mehr drin. Was aber steht hinter dem «Akkumulieren» historischen Wohnraums? Wie geht man mit den damit verbundenen Zwängen um, etwa der Denkmalpflege oder der Rendite? Benno Schubiger als Newsletter-Redaktor hat sich mit den beiden Domus-Mitgliedern und «Häusersammlern» Olaf Herrmann und Volker Marterer unterhalten. Herr Herrmann engagiert sich als Kantonaldelegierter der Sektion Glarus und Mitglied des Herausgeberkomitees unseres Bulletins. Herr Marterer ist als Architekt beruflich mit dem Thema Baukultur verbunden.

BS: Herr Herrmann, Herr Marterer, sind Sie bereit, unserer Leserschaft etwas über Ihre «Häusersammlung» zu erzählen?

OH: Mit einer Hand voll Objekten ist die Quantität unseres Bestandes verhältnismässig klein. Gross hingegen ist immer wieder aufs Neue die Bewunderung für seine Qualität. In jedem Einzelobjekt steckt ein Stück Leidensgeschichte und Leidenschaft all derer, die es jemals besessen oder bewohnt haben. Dieser Tage, da wir uns als Besitzer glücklich schätzen dürfen, steckt vor allem unser Leid und Freud in den Bauten.

Gerne öffnen wir hier ein kleines Fenster in die Seele unsere «Häusersammlung».

BS: Welches sind die Hintergründe ihrer ungewöhnlichen, grossen Begeisterung für historische Wohnbauten kommt?

VM: Die Faszination für das Bewahrte und für das Beständige. Das Begehren nach der Konservierung des Alten und Schönen. Die Herausforderung, zeitgemässen Ansprüchen in historischer Substanz gerecht zu werden. Der Wunsch nach einzigartigen und charaktervollen Räumen. Der Gedanke, Teil der Geschichte einer historischen Baute zu werden.

BS: Spielt bei Ihnen auch der Erhaltungs- und Rettungsgedanke eine Rolle, oder steht das sich «Delektieren» am Eigentum wertvollen Kulturguts im Vordergrund?

VM: Einige unserer Freunde betiteln uns gerne als «Bruchbudenbuben». Diese halbironische Bezeichnung ist gewissermassen berechtigt. Mit wenigen Ausnahmen stehen wir zu Beginn eines Projektes in einem grossvolumigen Domus, das in der Regel seine letzte gesamtheitliche Restauration zu Zeiten seiner Elektrifizierung durchlief. Sehen wir ein Haus, dessen funktionale Raumeinteilung heute nicht mehr geltenden Maximen folgt, und in dem Oberflächen, seien es Wände, Böden oder Decken, mehrfach über- und untereinander liegen. Ein Gebäude dessen Innengestaltung in Folge unterschiedlicher Reparatur- und Modernisierungsarbeiten, denen mit etwas Glück die aus jener Zeit stammenden Ausstattungen der Bäder und Holzöfen der Küchen nicht zum Opfer fielen, wie ein grosses Flickwerk wirkt. Es gilt unter neueren Oberflächen erhaltenswerte Ausstattungen zu erkennen, wie es zu erkunden gilt, ob sich unter wertvollen Schichten noch frühere Schätze verbergen, und zu bestimmen, welche an anderer Stelle im Gebäude, wo eine Rettung nicht mehr möglich ist, als Ersatz dienen könnten. Unsere Sanierungen schälen das historisch Wertvolle heraus und sollen zugleich generationsübergreifenden modernen Wohnraum schaffen. Die übergeordnete Rolle spielt dabei immer der Erhaltungs- und der Rettungsgedanke, also die Sicherung des Fortbestandes. Und die oberste Regel lautet: Persönliche Bedürfnisse passen sich dem Gebäude an und nicht das Gebäude persönlichen Bedürfnissen. Gelingt es mit dem Ergebnis einer Sanierung dies ohne Worte zu vermitteln, erfreuen wir uns umso mehr am Eigentum wertvollen Kulturguts.

OH: ... oder lapidar gesagt, am Eigentum einer wertvollen «Bruchbude» (lacht)

BS: Der Unterhalt historischer Wohnbauten ist in jedem Fall anspruchsvoll, insbesondere von einem ökonomischen Standpunkt gesehen. Ist der Verfallsprozess eines Hauses mal gestoppt, dann stehen Unterhalt, Konservierung, Restaurierung, Pflege an. Einen solchen sich wiederholenden Zyklus auch finanziell ins Lot zu bringen, geht nicht ohne Renditeüberlegungen.

OH: Das ist absolut korrekt. Ich möchte aber sofort relativieren. In der Weise, wie der Renditebegriff im Zusammenhang mit Immobilen allgemein verstanden wird, mag es bei Neubauten zutreffend sein. Bei historischen Liegenschaften sieht das typischerweise aber anders aus. Bekanntlich gelten solche als Liebhaberobjekte. Neben reichlich Zuwendung liebhabender Natur verlangen sie im Regelfall ihren Besitzern nicht minder Zuwendung finanzieller Natur ab – während sie sich bei Kreditinstituten von dem klassischen Einfamilienhaus dahingehend unterscheiden, dass ihre Finanzierung deutlich höheres Eigenkapital und gegebenenfalls Zusatzsicherheiten bedarf. Und bei aller Liebhaberei ohne die wir keinen Antrieb für den Aufbau unserer kleinen Sammlung hätten: Damit Verlust machen, das wollen und können wir uns nicht leisten. Zugleich legen wir als Bewunderer historischer Bauwerke die Betonung in der Formulierung unseres Renditegedankens nicht auf Gewinnmaximierung, aber auf Wirtschaftlichkeit.

Das bedeutet in der Praxis, dass wir jedes Objekt, selbstbewohnte ausgeklammert, als Geschäftsmodell betrachten müssen, in dem sich Aufwand und Ertrag mindestens einander aufwiegen. Dass diese Rechnung bei Jahrhunderten alten Bauten aufgeht ist aber nicht selbstverständlich. Insbesondere wenn der Aufwand in der Gleichung Finanzierungskosten beinhaltet, die durch Auszahlung etwaiger Miterben oder durch Erwerb des Domus, sowie durch Massnahmen zum Aufhalten seines Verfallprozesses oder zum Optimieren seiner wirtschaftlichen Tragbarkeit anfallen, wie zum Beispiel Ausbau des Daches oder des Nebengebäudes. Bei der uns gegebenen Notwendigkeit, möglichst kostendeckende Einnahmen auf der einen Seite zu generieren, um den Fortbestand auf der anderen Seite überhaupt gewährleisten zu können, drängt sich die Renditeüberlegung zwangsläufig auf.

BS: Sie spüren eine Passion für alte Häuser. Beobachten Sie eine solche auch bei Ihrer Mieterschaft? Oder wollen Sie diese vielmehr jeweils noch wecken?

VM: Ebenso sorgfältig wie jeder Mieter sein Mietobjekt auswählt, wählen wir die Mieter für unsere Objekte aus. Dabei kam es mehr als einmal vor, dass unsere Wahl nicht auf die grössten Enthusiasten für alte Häuser traf. Es hat ja in unseren Mietsachen auch viel Modernes – wohlgemerkt im Alten. In einer Architektursprache, die im Wohnmietmarkt ausserstandardmässig ist. Alle Bewohner unsere Häuser schätzen diese Aussergewöhnlichkeit, sei es eher wegen der historischen oder eher wegen der modernen Elemente.

OH: In jedem Fall aber weckt der Mix aus Alt und Neu bei allen unseren Mietern eine Passion für ihr Zuhause im alten Haus. Auch wenn sie, ehe sie unsere Sammlung belebten, keinen Hang zu alten Mauern hatten.

 

Volker Marterer hat in Konstanz Architektur und Olaf Herrmann in Chur Wirtschaft studiert. Die beiden Endvierziger führen gemeinsam die DOM GmbH, die auf die Sanierung geschützter und schützenswerter Bauten sowie auf Neubauten in geschützten Ortsbildern spezialisiert ist. Volker Marterer engagiert sich zudem im Glarner Heimatschutz und Olaf Herrmann als DAH-Delegierter in dem Ostschweizer Kanton.